Bei der Entwicklung eines Gewaltschutzkonzeptes als Organisationsentwicklungsprozess, geht es um die Sensibilisierung für Kinderschutz und Gewaltschutz und deren Verankerung in der Organisationskultur. Die Entwicklung, Weiterentwicklung oder Veränderung beginnt in den meisten Fällen damit, sich mit der Haltung und den Werten auseinanderzusetzen. Sowohl auf der individuellen Ebene, als auch auf der Ebene der Organisation. Auf einer abstrakten Ebene wird dies in einem Leitbild festgehalten und auf einer konkreteren Ebene in einem verbindlichen Verhaltenskodex für die Mitarbeiter*innen.
Was ein Verhaltenskodex ist
In einem Verhaltenskodex werden die Werte und Haltungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Einrichtung festgehalten und in allgemein verbindliche Handlungsweisen und Verhaltensnormen übersetzt. Der Wert „Respekt“ führt dann beispielsweise zur Verhaltensnorm, dass man die Privatsphäre der Kinder und Jugendlichen achtet.
Der Verhaltenskodex hält fest, welche Regeln und Grenzen in der Einrichtung gelten und schafft damit einen verbindlichen Handlungsrahmen, der Grenzverletzungen, sexuellen Übergriffen und Missbrauch vorbeugt. Er setzt Standards für das Zusammenleben und schützt damit Kinder, Jugendliche und Mitarbeiter*innen gleichermaßen.
Wie ein Verhaltenskodex entwickelt wird – Haltung und Werte
Der Zugang zu einem grenzachtenden Umgang miteinander geschieht über die Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung und den eigenen Werten. Also mit dem unbewussten Teil unseres Handelns.
Warum ist das wichtig? Weil diese unbewussten Dinge unser Handeln prägen. Die meisten Entscheidungen, die wir treffen, sind unbewußt. Und (fast) jede dieser Entscheidungen ist emotional, wenn man dem aktuellen Stand der Hirnforschung glauben mag.
Welche Werte sind für mich handlungsleitend? Was ist das, was mich wirklich berührt? Was ist für mich wirklich wesentlich im Leben?
Wofür möchte ich mich tagein, tagaus einsetzen? Was ist mir so wichtig, dass ich hier kündigen würde, wenn das nicht (mehr) gegeben ist?
Fragen dieser Art kann man sich hier stellen. Der Blick richtet sich zunächst nach innen, auf die eigene Haltung und die eigenen Werte, die man sich an dieser Stelle (wieder) bewußt macht.
Bei der Entwicklung einer gemeinsamen Einrichtungskultur oder eines gemeinsamen Verhaltenskodex ist deshalb der nächste Schritt, sich im Team gemeinsam über die Werte zu verständigen und damit auseinanderzusetzen. Dieser Austausch miteinander ist besonders wichtig, da jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin seine eigene Sammlung an Werten, Vorstellungen, Glaubenssätzen usw. mitbringt, die seine Wahrnehmung der Welt prägen. Somit verbindet auch jeder und jede mit Gewalt etwas anderes zieht eine andere Grenze , wenn es darum geht, welches Verhalten akzeptabel ist und welches nicht.
“Bei gleicher Umgebung schaut doch ein jeder Mensch in seine eigene Welt.”
– Arthur Schopenhauer
Verständigung über gemeinsame Werte und Verhaltensnormen
Für das Zusammenleben und das Zusammenarbeiten ist hingegen ein gemeinsamer Orientierungsrahmen notwendig, auf den sich alle verständigt haben und der für alle verbindlich gilt. Die Auseinandersetzung über Werte und Haltungen ist deshalb unersetzlich für die Entwicklung einer gemeinsamen Einrichtungskultur. Und sie ist auch unersetzlich für eine gelebte verständnisvolle Arbeitsatmosphäre und das respektvolle Miteinander. Und sie ist schließlich auch unersetzlich dafür, abweichendes Verhalten sichtbar zu machen und die Abweichung auch ansprechen zu können: “Wir hatten doch im Team vereinbart, dass wir im Gruppengespräch mit den Kindern unser privates Handy ausschalten und nicht nebenbei Nachrichten schreiben.” Der Verhaltenskodex macht Verhaltensnormen objektiv. Aber eben nur für die Menschen, die ihn entwickelt und vereinbart haben. Der Verhaltenskodex ist deshalb einzigartig für jede Einrichtung bzw. jeden Träger.
Werte, Haltungen, Glaubenssätze und Ansichten sind per se nicht sichtbar (siehe Eisberg), sie müssen deshalb auf der Verhaltensebene sichtbar und erlebbar gemacht werden. Dies geschieht im Verhaltenskodex. Er ist damit ein wichtiger Teil der Einrichtungskultur.
Brauchst Du eine Liste von Werten als Anregung für Deinen Prozess? Wir haben hier eine Werteliste zusammengestellt.
Einige Hinweise für die Ausarbeitung und Umsetzung
Ein Verhaltenskodex, der für sich beansprucht, verbindliche Verhaltensweisen, Regeln und Grenzen zu beschreiben, muss mit allen Mitarbeiter*innen partizipativ verhandelt werden.
„Je höher der Grad der Beteiligung von Mitarbeiter*innen und soweit möglich, der Kinder und Jugendlichen an der Entwicklung und Umsetzung eines Verhaltenskodex, desto größer ist die Verbindlichkeit und Wirksamkeit der darin getroffenen Regelungen und Vereinbarungen“ (VPK Bundesverband (Hg.) (2017): Handreichung zur Entwicklung eines Schutzkonzeptes, Münstermann, Ibbenbüren)
Diejeningen, die bei der Entwicklung nicht dabei sein konnten, sollten die Inhalte vermittelt bekommen und in die Lage versetzt werden, den Kodex mittragen zu können. Das gilt selbstverständlich auch für alle neu eingestellten Mitarbeiter*innen, die erst nach der Entwicklung des Verhaltenskodex in das Team aufgenommen werden. Der Verhaltenskodex ist somit auch Teil des Einstellungsverfahrens und der Einarbeitung neuer Mitarbeiter*innen.
Die Einhaltung der formulierten Vereinbarung ist extrem wichtig, da sie Schutz sowohl für die Kinder und Jugendlichen bietet, als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Verstöße sollten deshalb entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen.
Inhaltlich sollten im Verhaltenskodex insbesondere folgende Bereiche umfasst sein:
- Gestaltung von Nähe und Distanz
- Sprache und Wortwahl
- Umgang mit und Nutzung von Medien und sozialen Netzwerken
- Angemessenheit von Körperkontakten
- Beachtung der Intimsphäre
- Zulässigkeit von Geschenken
- Disziplinarmaßnahmen
- Verhalten auf Freizeiten und Reisen
Dabei handelt es sich nicht um eine vollständige Liste oder verbindliche Punkte. Die Punkte sollen eine Orientierung für die einzelnen Bereiche geben. Wichtig ist es, individuell für die Einrichtung zu überprüfen, welche Bereiche relevant sind.
Die Erarbeitungsschritte zusammengefasst
Der gesamte Prozess zur gemeinsamen Erarbeitung des Verhaltenskodex kann also wie folgt aussehen:
- Schritt: Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und Haltungen (Blick nach innen) und Verständigung über die Werte und Haltung des Trägers (Blick nach außen)
- Schritt: Ausarbeiten von allgemein verbindlichen Verhaltensnormen, abgeleitet von der Verständigung und Auseinandersetzung aus Schritt 1
- Schritt: Formulieren eines Entwurfes des Verhaltenskodex
- Schritt: Abstimmung des Entwurfes und Beschluss des Verhaltenskodex
- Schritt: Unterzeichnung des Verhaltenskodex von ALLEN
Verhaltenskodex als Teil des Schutzkonzeptes
Werte können sich ändern. Insbesondere in einem Veränderungsprozess, wie es die Entwicklung eines Schutzkonzeptes sein kann. Der Verhaltenskodex und die zugrundeliegenden gemeinsamen Werte des Trägers sollte deshalb ab und zu als Teil der Qualitätsentwicklung überprüft werden.
Die Entwicklung eines Verhaltenskodex kann einen sinnvollen Einstieg in den Organisationsentwicklungsprozess bieten, wenn bei Themen rund um das Personalmanagement die Probleme am größten sind. Wenn es also beispielsweise eine große Unzufriedenheit im Team gibt. Wichtig ist, dass es bereits eine Vision bzw. ein Leitbild des Trägers gibt, in dessen Rahmen sich der Verhaltenskodex mit seinen zugrundeliegenden Werten und Haltungen einfügen kann. Mit dem Offenlegen von Werten und gemeinsamen Regeln wird in jedem Fall ein wichtiger Grundstein für die Zusammenarbeit und die Zugehörigkeit im Team gelegt. Somit trägt die Entwicklung eines Verhaltenskodex nicht nur dazu bei, abweichendes Verhalten sichtbar zu machen und die persönlichen Grenzen von Kindern und Jugendlichen besser zu schützen. Ein Verhaltenskodex trägt auch dazu bei, die Kommunikation und die Verständigung im Team zu verbessern und die Zugehörigkeit, Vertrauen und die Beziehungen untereinander zu stärken.
Das Ziel ist, auf dem Weg zu bleiben.
Die Entwicklung eines Schutzkonzeptes ist ein herausfordernder Organisationsentwicklungsprozess. Die Unterstützung mit Blick von außen ist wichtig dafür, auf dem Weg zu bleiben. Sie ist einer der Erfolgsfaktoren bei der Entwicklung eines wirksamen Schutzkonzeptes. Mit unserer Umsetzungsbegleitung unterstützen wir freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe bei diesem Entwicklungsprozess.
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