Eines der fünf zentralen Ziele des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) aus dem Jahr 2021 war die verbesserte Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien. Durch das KJSG wurde die Subjektstellung von jungen Menschen und ihren Eltern gestärkt und das Prinzip der Selbstbestimmung verankert.
Es ist deshalb lohnenswert, die Stufen der Beteiligung, Partizipation als Qualitätsmerkmal und als Voraussetzung für die Betriebserlaubnis noch einmal aktuell zu betrachten.
Stufen der Beteiligung
Roger Hart (1992) und Wolfgang Gernert (1993) haben in ihrer Arbeit die Stufen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen beschrieben. Ein weiteres Stufenmodell basiert auf der Arbeit von Wright, Block und von Unger (Wright 2010), das für die partizipative Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung entwickelt wurde, aber viele Parallelen bereit hält.
Beide Modelle umfassen neben den Ebenen der Partizipation auch Ebenen der Nicht-Partizipation (Stufen 1 und 2) sowie Vorstufen der Partizipation (Stufen 3 bis 5), die wir nachfolgend dargestellt haben.
Die Darstellung der Stufen der Nicht-Partizipation und Vorstufen ist für ein grundlegendes Verständnis wichtig. Aus ihnen wird klar, dass die Ebenen der Nicht-Partizipation überwunden sein müssen und die Vorstufen der Partizipation ebenso überwunden bzw. im Fall von „informiert sein“ erfüllt sein müssen, um echte Beteiligung zu erreichen. Um echte Partizipation handelt es sich erst ab der Stufe 6 „Mitwirkung“. Gleichzeitig geht aus diesem umfassenden Stufenmodell hervor, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für echte Beteiligung die „Information“ ist. Nur Kinder und Jugendliche, die gut informiert sind und verstehen, worum es geht, können auch beteiligt werden.
Auf der Stufe „Zugewiesen, informiert“ erhalten Kinder und Jugendliche lediglich Informationen über die Angelegenheit, ohne dass sie aktiv beteiligt werden. Auf der nächsten Stufe „Mitwirkung“ werden Kinder und Jugendliche um ihre Meinung gebeten, ohne dass sie jedoch die Entscheidungen treffen. Auf der Stufe „Mitbestimmung“ haben Kinder und Jugendliche eine aktive Rolle bei Entscheidungen und haben das Recht, ihre Meinung zu äußern und sich einzubringen, jedoch ohne dass sie die endgültige Entscheidung treffen. Auf der Stufe „Selbstbestimmung“ haben Kinder und Jugendliche die volle Verantwortung und die Entscheidungsmacht über die Angelegenheit.
Die letzte Stufe „Selbstverwaltung“ geht schließlich über Partizipation hinaus. Sie umfasst alle Formen selbstorganisierter Maßnahmen, die nicht unbedingt als Folge eines partizipativen Entwicklungsprozesses entstehen, sondern von Anfang an von Kindern und Jugendlichen selbst initiiert werden können.
Die differenzierten Stufen bieten aus unserer Sicht eine gute Orientierung, auf welche Stufe Partizipation zurückfallen kann, wenn sie auf der höheren Stufe nicht funktioniert. Wir möchten dabei betonen, dass es je nach Alter, Entwicklungsstand und Umständen angemessen sein kann, dass Kinder und Jugendliche auf unterschiedlichen Stufen der Beteiligung an Entscheidungen beteiligt werden. Es ist auch wichtig, dass die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ein kontinuierlicher Prozess ist, der sich an ihrem Alter und Entwicklungsstand orientiert.
Partizipation als Qualitätsmerkmal
Die kontinuierliche Partizipation ist ein wichtiger Bestandteil der Qualitätsentwicklung. Auf der Ebene der Strukturqualität und Prozessqualität spielt Partizipation in der Haltung der Fachkräfte untereinander und in der pädagogischen Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen ein wichtige Rolle. Eine Einrichtungskultur entsteht durch Wiederholung. Ob eine Kultur auf Partizipation beruht, zeigt sicht sich auch in der Ausgestaltung struktureller Rahmenbedingungen der sozialpädagogischen Arbeit. Werden Strukturen vorgehalten, die regelmäßige Partizipation begünstigen, beispielsweise Gesprächsrunden, so kann daraus eine entsprechende Kultur entstehen.
Partizipation spielt schließlich auch in der Führung eine wichtige Rolle. Ein Führungsstil der auf Anweisungen und Vorgaben beruht, wird nicht zu einer partizipativen Kultur und Haltung führen. Dass Kinder und Jugendliche an sie betreffenden Entscheidungen beteiligt werden, ist eher unwahrscheinlich und liegt dann zumindest nicht an der Einrichtungskultur, sondern an dem Engagement Einzelner.
Partizipation von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden Entscheidungen geht einher mit Autonomie- bzw. Machtverlust der Fachkräfte. Sie geben Entscheidungsmacht ab, da Entscheidungen kommunikativ ausgehandelt werden. Die Voraussetzung dafür ist wiederum, dass für diese Kommunikationsprozesse Raum geschaffen sein muss. Bei der Beschreibung von Prozessen und Abläufen kommt somit zum Ausdruck, ob eine Einrichtungskultur partizipativ ist, oder eben nicht.
Wenn Partizipation als zentrales Handlungsprinzip umgesetzt ist, steht dies in direktem Zusammenhang mit dem Ziel, Kinder und Jugendliche bei ihrer Entwicklung zu selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Menschen zu fördern. Beteiligung ist somit auch ein Merkmal der Ergebnisqualität.
Beteiligungsrechte im SGB VIII
Mit der Bedeutung von Partizipation für die Ziele der Hilfen haben wir den Bogen zu den Grundsätzen des § 1 SGB VIII geschlagen, die – wie eingangs erwähnt – durch das KJSG nocheinmal positiv weiterentwickelt wurden. Partizipation ist aber nicht nur in den Grundsätzen des Gesetzes verankert, Kinder, Jugendliche und ihre Familien haben weitere explizite Rechte auf Beteiligung. Nachfolgend stellen wir eine kurze Übersicht über die wichtigsten Paragrafen zur Verfügung.
§ 1 Abs. 1 SGB VIII benennt das Recht auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
§ 1 Abs. 3 SGB VIII verpflichtet zu einer für die Adressatinnen und Adressaten verständlichen Beratung, Aufklärung und Beteiligung.
§ 4a Abs. 1 SGB VIII: Leistungsberechtigte und Leistungsempfänger können sich in selbstorganisierten Zusammenschlüssen organisieren.
§ 5 Abs.1 SGB VIII gewährt das Recht „zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern“.
§ 8 SGB VIII: „Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen“.
§ 8a Abs. 1 SGB VIII legt bezüglich des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung fest, dass bei Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche in die Gefährdungseinschätzung einbezogen werden, insofern der der wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen dadurch nicht in Frage gestellt wird.
§ 9a SGB VIII Junge Menschen können sich an unabhängige, fachlich nicht weisungsgebundene Ombudsstellen wenden.
§ 36 SGB VIII gewährt das Recht auf Mitwirkung in der Gestaltung der erzieherischen Hilfen (Hilfeplan).
§ 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII gewährt Kindern und Jugendlichen ein bedingungsloses Recht auf Inobhutnahme.
Partizipation als Voraussetzung für die Betriebserlaubnis
Partizipation ist schließlich auch eine Voraussetzung für Erteilung einer Betriebserlaubnis. § 45 SGB VIII verlangt, dass in Kindertageseinrichtungen und Einrichtungen der Heimerziehung zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Einrichtung geeignete Verfahren der Selbstvertretung und Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten innerhalb und außerhalb der Einrichtung gewährleistet sind.
Wenn du Beteiligungsprozesse in deiner Einrichtung weiterentwickeln möchtest, nimm Kontakt mit uns auf.
Literatur
Deutscher Bundestag (2021): Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen
(Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG). Drucksache 19/26107 (PDF)
Gernert, Wolfgang (1993) Jugendhilfe –Einführung in die sozialpädagogische Praxis. München, Basel: Ernst Reinhardt Verlag
Hart, Roger (1992). „Children’s Participation: From Tokenism To Citizenship“ (PDF). Innocenti Essays No. 4. Florenz: UNICEF
Wright, M. T. (Hrsg.) (2010). Partizipative Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung und Prävention. Bern: Hans Huber.